Käthe Hamburger

Käte Hamburger

Artikel von Lena Meyerhoff

Steckbrief

  • Name: Käte Hamburger
  • Lebensdaten: 1896-1992
  • Bekannteste Werke: Die Logik der Dichtung(1956)
  • Weitere Werke: Das Mitleid (1985), Ibsens Drama in seiner Zeit (1989), Kleine Schriften zur Literatur und Geistesgeschichte (1986), Thomas Mann und die Romantik (1932), Von Sophokles zu Sartre. Griechische Dramenfiguren antik und modern (1962), Wahrheit und ästhetische Wahrheit (1979)
  • Themen: Sprachtheorie, Erzähltheorie, Gattungstheorie
  • Sprachkultur(en): Deutsch
  • Schlagworte: Literaturtheorie, Geschichte, Kulturtheorie, Philosophie, Europa

Zusammenfassung

Seit seinem Erscheinen in den 1950er Jahren ist Käte Hamburgers Hauptwerk Die Logik der Dichtung in der Philologie und Philosophie kontrovers diskutiert worden. Bis zum Tod der Theoretikerin 1992 kreisten die Debatten vor allem um die Legitimation und inhaltliche Lesart, die Genauigkeit des Buches und terminologische Irritationen. Seit einigen Jahren liegt der Fokus in der Forschung auf dem Freilegen des darunterliegenden „Denksystems“ (Löschner), welches Hamburger in ihrem voraussetzungsreichen Hauptwerk nicht gesondert aufschlüsselte – und damit auch auf der Rekonstruktion der „gerissenen Fäden“, des durch den Zweiten Weltkrieg erschütterten, intellektuellen Netzwerks Hamburgers, das durch die Emigration ins schwedische Exil noch immer Forschungslücken offenbart.

Abgerissene Fäden: Käte Hamburgers Die Logik der Dichtung

Während der Arbeit an ihrem Hauptwerk schrieb Käte Hamburger am 12. Mai 1946 an Josef Körner „angesichts des entsetzlichen Trümmerfeldes, das sich vor uns ausbreitet“:

Zitat
„Was ist gewonnen, wenn ich nun wirklich das eine oder andere zu verstehen, zu deuten vermeine? Hat es Sinn, sich überhaupt mit diesen oder jenen Spezialproblemen einer Wissenschaft oder sogenannten Wissenschaft zu befassen, deren ganze Tradition und Kultur zusammengebrochen ist, wie die deutsche Geisteswissenschaft? Wenn ich Schriften von vor 1933 lese, ist es wie eine ferne Vergangenheit. Damals hatte die Gegenwart, und so auch die damals gegenwärtige Wissenschaft, noch ihren Zusammenhang mit der deutschen Geisteskultur. Jetzt ist es wie ein gähnender Abgrund oder wie lauter abgerissene Fäden, und sinnlos erscheint es mir oft, in der wie toten Tradition mich zu bewegen. Ob sie wieder lebendig werden kann? In anderer Weise vielleicht?“ [1]

Hamburgers Brief an Körner legt Zeugnis ab über einen im schwedischen Exil verbrachten resignativen Zustand, der wenige Monate nach Kriegsende selbst so weit reichte, die Wissenschaftlichkeit ihres Feldes, der Germanistik, infrage zu stellen. Mit den abgerissenen Fäden zeichnet Hamburger ein Jahr nach Erlangung der schwedischen Staatsbürgerschaft das Bild einer beschädigten Textur.[2] Ein anderer Faden, mit dem sie sich der Arbeit an den Geweberissen widmen wird: die schwedische Sprache, in der sie über ihre Muttersprache nachdachte und schrieb. Aus der Arbeit an dieser Textur, der sie sich in ihrem insgesamt 22-jährigen Exil widmete, sollte erst nach ihrer Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland im Jahre 1956 Die Logik der Dichtung als Erstveröffentlichung ihrer überarbeiteten Habilitationsschrift hervorgehen.


Käte Hamburger gehörte zur ersten Generation Frauen, die ein ordentliches Studium aufnahmen. Sie studierte Kunstgeschichte (u. a. bei Friedrich Meinecke, Eduard Meyer, Max Dessoir, Gustav Roethe) sowie ab dem Jahr 1918 Philosophie in München und promovierte schließlich mit einer Arbeit zu Schillers Analyse des Menschen als Grundlegung seiner Kultur- und Geschichtsphilosophie.[3] In Hamburg, ihrer Geburtsstadt, studierte sie daraufhin bei dem jüdischen Philosophen Ernst Cassirer,[4] der wie Hamburger unmittelbar nach der Machtergreifung aus Deutschland floh. Es folgte die Beschäftigung mit Jean Paul und Novalis sowie Assistenzarbeit für den Philosophen Paul Hofmann. Im Jahre 1932 lernte sie durch die Veröffentlichung ihrer Studie Thomas Mann und die Romantik den Schriftsteller selbst kennen,[5] für den sie eine „lebenslange Obsession“ hegte und mit dem sie das Ideal einer „vom Nationalsozialismus unberührten Humanität“ verband, wie Mona Körte es formulierte.[6]


Die Logik der Dichtung

Gleich zu Beginn ihres Hauptwerks Die Logik der Dichtung räumt Hamburger ein, dass Kunst vor allem Gegenstand der Ästhetik, nicht der Logik sei – und daher, für sie strikt getrennt, „Gebiet des Gestaltens und nicht des Denkens“.[7] Allerdings: Unter allen Kunstgattungen hätte die Sprachkunst eine Sonderstellung. Die Sprachkunst bzw. die Dichtung verfüge im Gegensatz zu anderen Kunstformen über ein inneres logisches System.[8] Um dieses System freizulegen, untersuchte Käte Hamburger das Verhältnis der Dichtung – in den Gattungen Lyrik, Epik und Dramatik – zum allgemeinen, alltäglichen Sprachsystem. In diesem Vergleich stellte sie immer wieder, besonders anhand grammatikalischer Schwellen zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion, von ihr als „Wirklichkeitsaussage“ bezeichnet, die Besonderheiten der Dichtung heraus, und zeigte damit letztendlich, welche Logik ihr innewohnt. Ihren Begriff der „Logik der Dichtung“ betrachtet Hamburger als Ableitung des Konzeptes ‚Sprachlogik‘. Die Sprachlogik, und hier referiert sie auf Goethe, Wittgenstein und Mill, sei Bestandteil des Denkens selbst, sie werde bei diesen Autoren definiert durch das Vermögen „Gedanken“ und „Gesetze des Denkens“ zum Ausdruck zu bringen.[9]

Demnach ist Sprachlogik eine Art Sprachtheorie, die den Sinngehalt der Sprache und damit ihre grammatische und linguistische Ausdrucksfunktion untersucht: Die Sprache wird betrachtet als ‚ein Vehikel‘ von Gedanken, welches gleichzeitig die Regeln derselben offenlegt. Diese Sprachlogik ist in Hamburgers Auffassung jedoch unzulänglich, da sie die Tatsache ausspare, dass Sprache eben auch den Zustand der Sprachkunst (bzw. Dichtung) annehmen könne – womit sie ihr eigenes, bisher kaum betrachtetes, Forschungsfeld absteckte, nämlich das der inneren Sprachlogik der Dichtung.[10] So, wie Sprache das Medium der Dichtung ist, dient sie gleichzeitig als Medium des Lebens. Dichtung entstehe durch den Umstand, dass Sprache „das Medium ist, in dem sich das spezifische menschliche Leben überhaupt vollzieht“[11]: Dadurch, dass der Sprache das Leben anhaftet, ist die Voraussetzung dafür gegeben, dass aus ihr Sprachkunst bzw. Dichtung werden kann. Methode der Untersuchung ist konsequenterweise der Vergleich: Die dichtende Sprache wird in der Gegenüberstellung mit der nicht-dichtenden betrachtet, mit dem Ziel, eine Theorie der Fiktion aufzustellen – zu kondensieren, was die Dichtung ihrem Wesen nach ausmacht. „Logik oder Sprachlogik der Dichtung“ sei daher eine Form der Theorie, die untersucht, in welcher Weise Dichtung, also dichtende Sprache, „sich funktionell von der Sprache unseres denkenden und mitteilenden Lebens unterscheidet“. Oder anders: „Die Logik der Dichtung als Sprachtheorie der Dichtung hat zum Gegenstand das Verhältnis der Dichtung zum allgemeinen Sprachsystem.“[12]


Überlegungen zur Gattungslehre

In ihrem Hauptwerk sah Hamburger in der bisherigen Definition der Dichtungsgattungen – Epik, Dramatik und Lyrik – ein zentrales Problem.[13] Die Gattung als „präsentierende Form“ sei eine, die das „Leseerlebnis lenkt und prägt“, eine „richtunggebende, unser Erlebnis einstellende“ – demnach sei die Gattungsform der Interpretation überlegen und vorrangig.[14] Der Lyrik spricht sie gegenüber Epik und Dramatik eine Sonderstellung zu, diese präsentiere sich auf einer „anderen Ebene unseres Vorstellungslebens“.[15] Ein Unterschied liege darin, dass prosaische und dramatische Dichtung „das Erlebnis der Fiktion oder der Nicht-Wirklichkeit vermittelt“, was bei der Lyrik nicht der Fall sei – sie vermittle das „Erlebnis der Wirklichkeit“.[16] Lyrik zählt Hamburger in ihrer Untersuchung somit zu den faktualen Gattungen, ebenso wie den historischen Brief; Epik und Dramatik hingegen (und auch die Filmkunst) rechnet sie der Fiktion zu.

Aristoteles betrachtet Hamburger als den „Kronzeugen“ dieser These, da dass dieser in seiner Poetik nur Epos und Drama, nicht aber die Lyrik behandelte.[17] Ihre Erkenntnis zieht Hamburger aus der sprachlichen und logischen Struktur der Gattungen, was die „Logik der Dichtung“ auch zu einer „Phänomenologie der Dichtung“ macht.[18] Neben dieser Gattungsreflexion sind Untersuchungen zur Abwesenheit des Erzählers in der fiktionalen Dichtung und grammatikalisch paradoxen Form des „epischen Präteritums“ zentrale Theorien in Hamburgers Arbeit. Vor allem aber der Ausschluss der Lyrik aus dem System der Dichtung sollte Hamburger nach ihrer Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland Kritik einbringen.


Rezeption und Relevanz

Diese bisherige „problematische Rezeptionssituation“ [19] ihrer Theorien führte dazu, dass Hamburger zu ihrer Zeit neben ihrem Hauptwerk – und ihrer Forschung zu Thomas Mann – wenig Resonanz erfuhr: Studien über Rilke, Schiller, Hölderlin, Tolstoi, Novalis, Sachs, Celan, und Andersen konnten wenig Aufmerksamkeit beanspruchen, viele Rezensionen und Zeitungsartikel sind teils bis heute nicht aus dem Schwedischen übertragen worden.[20] Darüber hinaus wird bemängelt, wie wenig auf die Interdisziplinarität von Hamburgers Arbeitsweise eingegangen wurde, obwohl sowohl Die Logik der Dichtung als auch andere Werke breit gefächerte Beispiele aus der Kunstwissenschaft, der philosophischen Ästhetik, der Existenzphilosophie und der Phänomenologie hinzuziehen.[21] Erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Hamburger diese verschwisterten Disziplinen schon früh nutzte, rund 50 Jahre bevor festgestellt wurde, wie nützlich entliehene Erklärungsmuster fachfremder Theorie in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach sein können; und wie sich aus dieser Öffnung produktive, interdisziplinäre Perspektiven ergeben.[22]


Zeitgenössische Stimmen in der Forschung sind der Auffassung, die Gelehrten der Nachkriegsjahre seien nur unzulänglich mit Hamburgers Arbeit umgegangen, und begründen dies vor allem mit der Aufarbeitung der Germanistik in der Nachkriegszeit, eine Phase „forcierter theoretischer und methodischer Renovierung“, in der kaum Zeit geblieben sei für „besonnene Bestandsaufnahmen“.[23]


In Die Logik der Dichtung legt Hamburger die Zeichen, die Codes des Erzählens frei, die dafür sorgen, dass ein Text als fiktiv gelesen wird. Mit dem Mittel des Vergleichs wies sie den sprachlichen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Dichtung nach. Beides kommt in seinen Eigenheiten nur im Kontrast neben dem anderen zum Vorschein, was diesen Text zu einem äußerst relevanten für die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft macht. Darüber hinaus trägt Hamburgers Beleuchtung von Film und Drama, auch durch die zahlreichen Referenzen auf die Bildenden Künste, zu einer Öffnung ihrer Arbeit in die Philosophie wie auch Kunstwissenschaften bei. Trotz der vielen Übersetzungen in diverse Sprachen und der nach der Germanistin benannten Forschungseinrichtungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung scheint Die Logik der Dichtung in der Lehre weitreichend unbekannt. Die Frage, welche Relevanz der Text jenseits der sprachtheoretischen Sphäre heute für die Kulturtheorie hat, ist jedoch bloß eine, die zu stellen wäre. Viel eher ist festzuhalten, dass die kritische Debatte um die Relevanz des Werkes heute um eine Phase der „reparativen Praxis“[24] (Körte) ergänzt wird, in dem Sinne, dass sie sich weniger der kompletten Infragestellung Hamburgers Theorien widmet, sondern ihre Rezeption im Kontext der kriegs- und verfolgungsbedingten Brüche ihrer Arbeit betrachtet. Allen voran auch ihr Vermögen, diese Brüche im Wechsel der Sprachen zu reflektieren.


Auf den vorangegangenen Brief Käte Hamburgers, die Frage nach dem Sinn und den abgerissenen Fäden, antwortete ihr Freund Fritz Körner acht Tage später, am 20. Mai 1946:

Zweites Zitat
„Ob es in dieser apokalyptischen Gegenwart noch Sinn hat, sich mit sog. Wissenschaft zu befassen? Liebe Freundin, was heißt Sinn? Sinn für wen? Für Gott? […] Der echte Wissenschaftler forscht und spekuliert und schreibt in erster Linie für sich selbst, genauso wie der echte Künstler. […] Seit nahezu zehn Jahren bin ich jeder Möglichkeit beraubt, die Ergebnisse meiner Arbeit vor ein Publikum zu bringen, schriftlich wie mündlich; keinen Tag bin ich darüber müßig geworden und scher mich auch heut nicht viel darum, was aus den immer höher sich anhäufenden Bergen beschriebenen Papiers werden soll, die meinen Schreibtisch, meine Zettelkästen, mein Arbeitszimmer füllen. ‚Verbiete du, dem Seidenwurm zu spinnen!‘[25]

Referenzen

[1] Käte Hamburger an Josef Körner am 12. Mai 1946. In: Josef Körner: Philologische Schriften und Briefe. Göttingen: Wallstein 2001. S. 216. Der Brief Hamburgers an Körner wurde hier in Auszügen in den Fußnoten zitiert, um dessen Antwort zu kontextualisieren. Ich zitiere an dieser Stelle nach dieser Fußnote. Der vollständig von Hamburger verfasste Brief befindet sich im Literaturarchiv Marbach und wurde für diesen Essay nicht gesichtet. Diese Spur und der Hinweis auf Hamburgers Bild der „abgerissenen Fäden“ ist Mona Körtes Arbeit zu verdanken, vgl. dazu Mona Körte: Dichtungslogiken des Ich. Theoriebildung im Exil bei Käte Hamburger und Margarete Susman. In: Meine Sprache ist Deutsch: Deutsche Sprachkultur von Juden und die Geisteswissenschaften 1870-1970. Hrsg. von Stephan Braese und Daniel Weidner. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2015. S. 174–198, hier: S. 190. ↩︎
[2] Vgl. ebd. S. 185. ↩︎
[3] Vgl. ebd. S. 184. ↩︎
[4] Vgl. ebd. S. 185. ↩︎
[5] Vgl. ebd. ↩︎
[6] Vgl. ebd. S. 177. ↩︎
[7] Vgl. Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung. Stuttgart: Klett-Cotta 1994. S. 9. ↩︎
[8] Vgl. ebd. S. 9. ↩︎
[9] Vgl. ebd. S. 10. ↩︎
[10] Vgl. ebd. ↩︎
[11] Vgl. ebd. ↩︎
[12] Vgl. ebd. ↩︎
[13] Vgl. ebd. S. 11. ↩︎
[14] Vgl. ebd. S. 12. ↩︎
[15] Vgl. ebd. ↩︎
[16] Vgl. ebd. ↩︎
[17] Vgl. ebd. S. 16. ↩︎
[18] Vgl. ebd. S. 12. ↩︎
[19] Andrea Albrecht und Claudia Löschner: Käte Hamburger: Kontext, Theorie und Praxis. Einleitung. In: Käte Hamburger: Kontext, Theorie und Praxis. Hrsg. von dens. Berlin, Boston: De Gruyter 2015. S.1-10, hier: S. 3. Albrecht und Löschner argumentieren hier, dass sich die Diskussionen um Hamburgers Die Logik der Dichtung vor allem um die generelle Relevanz ihrer Theorien dreht, was von den Autorinnen heute mit Befremden betrachtet und als Zeugnis einer anderen Wissenschaftsauffassung gewertet wird. Dazu heißt es: „Obgleich um Verständigung bemüht, fand Hamburger mit ihren Kritikern so nur selten eine gemeinsame Sprache.“ Ebd. S. 2. Dies führen die Autorinnen auf den Zivilisationsbruch und Hamburgers Leben im Exil zurück: An die Stelle einer kontextualisierten Betrachtung von Hamburgers Arbeit „[…] trat eine selektive Rezeption weniger Theoreme und Passagen, die weder Hamburgers systematischem Denkansatz noch ihrer Interpretationspraxis gerecht werden konnte.“ Ebd. ↩︎
[20] Vgl. ebd. S. 3. ↩︎
[21] Vgl. ebd. S. 5 f. ↩︎
[22] Vgl. Jonathan Culler: Literaturtheorie: Eine kurze Einführung. Ditzingen: Reclam 2002. S. 13. ↩︎
[23] Albrecht und Löschner: Käte Hamburger: Kontext, Theorie und Praxis. Einleitung. S. 3. Interessant in diesem Kontext ist ein ähnliches Resümee, welches Nicole Seifert in Bezug auf die Frauen der Gruppe 47 zieht und sicher auch für die Theorie gültig ist: Seifert zeigt die unzulängliche Auseinandersetzung mit Texten von Ruth Rehmann, Gabriele Wohmann, Ingrid Bachér etc. auf und begründet diese mit dem „begrenzten literarischen Sachverstand der Kriegsheimkehrer“. Dies könnte mit dem „akademischen Hintergrund“ zusammenhängen, denn in der Regel waren die Autorinnen „sehr viel besser ausgebildet […]“. Laut Seifert führte dies dazu, dass gerade Texte „innovativer, subversiver und provokanter“ Natur ignoriert wurden. Kriegsdienstjahre brachten die Männer demnach um Universitätsjahre, was ihnen einen Kompetenzverlust in der Beurteilung von Literatur einbrachte. Vgl. Nicole Seifert: „Einige Herren sagten etwas dazu“. Die Autorinnen der Gruppe 47. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2024. S. 271. ↩︎
[24] Vgl. hierzu das Selbstverständnis des Käte Hamburger Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation (CURE) an der Universität des Saarlandes. ↩︎
[25] Josef Körner: Philologische Schriften und Briefe. Göttingen: Wallstein 2001. S. 216. Körner referenziert hier auf Goethes Künstlerdrama Torquato Tasso aus dem Jahre 1790. Im 5. Aufzug, 2. Auftritt spricht der Dichter Tasso gegenüber dem Herzog von Ferrara, Alphons dem Zweiten, an dessen Hof er Dichter ist, von der Leidenschaft für seine Arbeit: „Ich halte diesen Drang vergebens auf / Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt. / Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, / So ist das Leben mir kein Leben mehr. / Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, / Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt. / Das köstliche Geweb entwickelt er / Aus seinem Innersten und läßt nicht ab / Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen. / O geb ein guter Gott uns auch dereinst / Das Schicksal des beneidenswerten Wurms, / Im neuen Sonnental die Flügel rasch / Und freudig zu entfalten.“ Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. Hrsg. von Dieter Borchmeyer unter Mitarbeit von Peter Huber. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2008. S. 823. Dieser Bezug Körners spielt damit auf Rastlosigkeit und Morbidität an, enthält aber auch ein erlösendes Moment. ↩︎

Zitierte Literatur

  • Albrecht, Andrea und Claudia Löschner: Käte Hamburger: Kontext, Theorie und Praxis. Einleitung. In: Käte Hamburger: Kontext, Theorie und Praxis. Hrsg. von dens. Berlin, Boston: De Gruyter 2015. S. 1–10.
  • Culler, Jonathan: Literaturtheorie. Eine kurze Einführung. Übers. von Andreas Mahler. Stuttgart: Reclam-Verlag 2002.
  • Hamburger, Käte: Die Logik der Dichtung. Stuttgart: Klett-Cotta 1994.
  • Körner, Josef: Philologische Schriften und Briefe. Hrsg. von Ralf Klausnitzer. Göttingen: Wallstein 2001.
  • Körte, Mona: Dichtungslogiken des Ich. Theoriebildung im Exil bei Käte Hamburger und Margarete Susman. In: Meine Sprache ist Deutsch: Deutsche Sprachkultur von Juden und die Geisteswissenschaften 1870–1970. Hrsg. von Stephan Braese und Daniel Weidner. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2015. S. 174–198.

Weiterführende Literatur

  • Bossinade, Johanna und Schaser, Angelika (Hrsg.): Käte Hamburger. Zur Aktualität einer Klassikerin. Göttingen: Wallstein 2003.
  • Ingarden, Roman: Das literarische Kunstwerk. Mit einem Anhang: Von den Funktionen der Sprache im Theaterschauspiel. Berlin, Boston: De Gruyter 1972.
  • Kreuzer, Helmut und Jürgen Kühnel (Hrsg.): Käte Hamburger: Aufsätze und Gedichte zu ihren Themen und Thesen. Zum 90. Geburtstag. Siegen: Universität-Gesamthochschule-Siegen 1986.
  • Hamburger, Käte: Das epische Präteritum. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 27 (1953). S. 329–357.
  • Hamburger, Käte: Die Zeitlosigkeit der Dichtung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 29 (1953), S. 414–426.
  • Löschner, Claudia: Denksystem. Logik und Dichtung bei Käte Hamburger. Berlin: Ripperger & Kremers 2013.
  • Mansour, Julia: „Fehdehandschuh des kritischen Freundesgeistes“. Die Kontroversen um Käte Hamburgers „Die Logik der Dichtung“. In: Kontroversen in der Literaturtheorie: Literaturtheorie in der Kontroverse. Hrsg. von Ralf Klausnitzer und Carlos Spoerhase. Bern/New York: Lang 2007.
  • Schröter, Klaus (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Armin Huttenlocher: Um Thomas Mann. Der Briefwechsel Käte Hamburger – Klaus Schröter 1964–1990. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1994.
  • Vasić Daki, Marija Zulja: Käte Hamburgers Theorie der Dichtungsgattungen. Die theoretischen Grundlagen der „Logik der Dichtung“. Siegen: Universität Siegen 2000.
  • Wischmann, Antje: Käte Hamburger im schwedischen Exil. Strategien der Grenzüberschreitung. Recherchen zu Käte Hamburgers Forschung und Lehre im schwedischen Exil. In: Gendered Academia. Wissenschaft und Geschlechterdifferenz 1890–1945. Hrsg. von Miriam Kauko, Sylvia Mieszkowski und Alexandra Tischel. Göttingen: Wallstein. S. 195–222.

Empfohlene Zitierweise

Lena Meyerhoff: [Art.] Käte Hamburger. In Online-Enzyklopädie der Frauen in der Theoriegeschichte. Hrsg. von Marília Jöhnk. URL: https://theoriespuren.de/artikel/kaete-hamburger/ [Datum des letzten Abrufs].