Artikel: Jane Bennett

Jane Bennett

Artikel von Anna Thommes

Steckbrief

  • Name: Jane Bennett
  • Lebensdaten: *31.07.1953
  • Bekannteste Werke: Vibrant Matter: A Political Ecology of Things (2010); Unthinking Faith and Enlightenment: Nature and the State in a Post-Hegelian Era (1987); Influx and Efflux: Writing Up with Walt Whitman (2020)
  • Themen:Materialist Ecocriticism; Ökologie; Materialismus; Demokratie; Verhältnis von Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen
  • Sprachkultur: US-Amerikanisch / Englisch
  • Schlagworte: Akteur-Netzwerk-Theorie, Materialismus, Ökologie, Politikwissenschaft, Kulturtheorie

Jane Bennett: Von Vibrant Matter und Thing Power

Was würde geschehen, wenn die Dinge in menschlicher Sprache zu uns sprechen könnten? Wenn das Wir, das die Menschheit verbindet, zu einem Wir wird, das die Gesamtheit der Materialitäten einschließt? Würden der Plastikdeckel am Strand, der knorrige Eichenbaum oder der von Minen durchzogene Berg uns etwas zu erzählen wissen? Vielleicht würden sie von der Not, der Prekarität ihrer Existenz erzählen, vom Sterben einer Welt, zu der sie wie die Menschen gehören. Von einer verlorenen Macht, von Ausbeutung und Aushöhlung bis auf den Kern. Vielleicht würden sie vom Sterben anderer Materialitäten erzählen, die mit ihnen in Verbindung stehen – Tiere, Pflanzen, Mineralien, Zellen, Menschen, Dinge. Diese Dinge sprechen nicht wirklich in menschlicher Sprache, vielleicht aber in anderen Formen, die für Menschen mit dem richtigen Hinhören verständlich werden könnten. Das ist zumindest die Idee, den Jane Bennett in ihrer Theorie zum vibrant materialism vorstellt.


Es ist heiß draußen, als wir über Bennetts Vorwort sprechen. Juli in der Stadt und Schweiß zwischen Arm und Unitisch, zumindest ein unheimlicher Wetterwandel wird in diesen Sommern unleugbar und Jane Bennetts Vibrant Matter macht Literaturtheorie greifbar. Ich schreibe mit einem grünen Stift auf weißes Papier – weg vom Antropozentrismus, vergesse das h und fühle mich auf einmal mächtig progressiv und anti-anthropozentristisch. Man muss sich ja bloß aus dem eigenen Menschsein schälen, ganz ökologisch-bewusst. Aus der Biologie stammend, hat sich die Ökologie in den letzten Jahrzehnten – besonders im Hinblick auf den Klimawandel und weitere ökologischen Probleme und Herausforderungen – auch auf die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ausgebreitet. Insbesondere in Form der interdisziplinären Strömung der Akteur-Netzwerk-Theorie finden nichtmenschliche Entitäten Raum in verschiedenen Forschungsfeldern. Durch Bruno Latours Das Parlament der Dinge fand diese neue Denkweise sogar Einzug in das Politische, in eine Demokratie, die nicht nur das menschliche Subjekt in den Blick nimmt. Später, zu Hause, hängt das weiße Papier jetzt am Regal, weißes Sperrholz, bedeckt mit wachsendem Efeu, der sich aussucht, wo er hinwächst. Ich nehme das, was draufsteht, wie einen weiteren Sticker an, eine politische Position neben den anderen. Dann erst mache ich mich wirklich auf die Suche nach Bennett.


Jane Bennett ist im Juli 1957 geboren und schlägt ausgehend von Positionen der Akteur-Netzwerk-Theorie, Ökologie und Philosophie eine radikale neue Lösung vor – zumindest ist das ihr Ziel: „A vital materialism attempts a more radical displacement of the human subject than phenomenology has done“ (Bennett, Vibrant Matter 30). Laut Dobson (439) lässt sich kaum unterschätzen, wie sehr Bennett politische Theorie herausfordert. Der vital materialism ist Bennetts eigene Theorie, die sie immer wieder als radikal und revolutionär bezeichnet und inszeniert. Das geht für sie auch damit einher, die Ideen derer, die zuvor schon die zentrale Stellung des Menschen theoretisch in Frage gestellt zu haben, noch ernster zu nehmen und ihre Gedanken zu Ende zu denken: „I’m trying to take ‚things‘ more serioulsy than policital theorists had been taking them“ (Bennett/Khan 92). Die things sind hierbei sicher in doppelter Bedeutung zu sehen – nicht nur die Ideen und Theorien sollen ernster genommen werden, sondern auch die Dinge als Entitäten mit eigener Macht. Wie aber gelingt ein so ehrgeiziges Ziel – die Theorien weiter und neu zu denken? Wie sieht der Weg dahin aus? Wie ich ist Jane Bennett in einem katholischen Umfeld aufgewachsen und damit ist dieser Weg zunächst keineswegs selbstverständlich oder vorgezeichnet. Zuerst glaubt sie an eine göttliche Weltordnung und an die Verantwortung des Menschen, die Schöpfung zu lieben und zu bewahren: „[I]f nature was God’s handicraft, it was worthy of care and protection, and we ought to tread lightly upon it“ (Bennett/Khan96 f.) – ein Weltbild, von dem auch ich immer überzeugt war und das ich erst durch Bennett hinterfrage in diesem Juli, mit Efeu auf dem Kallax-Regal.


Für Bennett wird dieses Weltbild in dem Moment nicht mehr haltbar, als ihr Bruder an Schizophrenie erkrankt und ihr Subjektdenken verändert – das Gehirn ihres Bruders scheint sich keiner göttlichen Weltordnung mehr zu beugen und ist ebenso wenig auf ein kalkuliertes, mechanisches Uhrwerk von Erde mehr zurückzuführen (Bennett/Khan 97). Von dem Schicksal ihres Bruders ausgehend nehmen die Auswirkungen der Dinge auf den Menschen im Allgemeinen immer mehr Raum ein – und ebenso das Leid, das damit einhergeht. Als Forschungsgegenstand dienen ihr immer wieder Hoarders – Menschen, bei denen die Dinge so essenziell werden, dass sie ihr ganzes Leben einnehmen (Bennett „Powers of the Hoard“).


Die Materialität des eigenen, menschlichen Körpers selbst zeichnet ein anderes Bild der Welt für Bennett. Schon im Studium beschäftigte sie sich mit Umweltstudien und Politikwissenschaft, ein Fach, in dem sie im Jahre 1986 ihre Dissertation erlangt. Seit dem Jahr 2004 lehrt Bennett als Professorin für Political Science an der Johns Hopkins University in Baltimore und veröffentlichte 2010 ihre bekannteste Studie Vibrant Matter: A Political Ecology of Things, das meine Aufmerksamkeit als erstes auf sich zog. Im Jahre 2020 publizierte sie darüber hinaus einen Band namens Influx and Efflux. Writing Up With Walt Whitman, in dem sie sich eingehend mit Walt Whitmans Lyrik auseinandersetzt und verstärkt mit der darin transportierten Körperlichkeit arbeitet. Auf diese Weise wird wiederum deutlich, dass sie zwar offiziell als Politikwissenschaftlerin arbeitet, aber sehr interdisziplinär vorgeht und auch philosophische, soziologische und literaturwissenschaftliche Strömungen in ihre Forschung integriert. Die Auflösung bzw. die Verschiebung von Grenzen, nicht nur zwischen Disziplinen, ist charakteristisch für die Theorie, die Bennett entwirft. Dieses Auflösen von Grenzen fasziniert mich, zieht mich fast magnetisch an – vielleicht werde ich selbst zu lebendem Metall, als ich tiefer im vibrant matter zu graben beginne und hier meinen Weg durch die Erde zu beschreiben suche.


Bennett geht von der Prekarität des Menschseins in der Klimakatastrophe aus, setzt das unvermeidbare Ziel des menschlichen Überlebens (Bennett, Vibrant Matter x) – auch, um von einer Wichtigkeit ihrer Überlegungen zu überzeugen. Denn das eigentliche Vorhaben des Buches ist eine Anerkennung der Wichtigkeit von nichtmenschlichen Entitäten, eine Horizontalisierung des Verhältnisses von Menschen und Dingen, das traditionell hierarchisch geprägt ist. Auf diese Weise erklärt sie direkt zu Beginn der Philosophiegeschichte den Krieg (Bennett, Vibrant Matter 7), in dem aber doch niemand zu Schaden kommt – die kanonischen Namen werden trotz allem zur Stütze ihrer Theorie: „I need all the help I can get“ (Bennett, Vibrant Matter x). Sie tritt in den Dialog mit Latour, Deleuze/Guattari, mit Foucault und Nietzsche, denn: „The point, again, is that we need both critique and positive formulations of alternatives, alternatives that will themselves become the objects of later critique and reform.“ (Bennett, Vibrant Matter xv). Was hier mitschwingt, ist eine Akzeptanz des Verlaufs von Entwicklungen neuer Theorien und eine Anerkennung möglicher Kritik. Auch auf dieser kommunikativen Ebene sucht Bennett, glaube ich, nach einem Zusammenleben anstelle eines Beherrschens, nach einem kollektiven Werk der Theoriegeschichte, das sich immer wieder bewegt und selbst erneuert.


Ein weiteres Ziel: „to give a voice to thing-power.“ (Bennett, Vibrant Matter 2). Damit scheint sie in Worte zu fassen, wonach ich jahrelang zwischen Farbe, Worten und Wiese gesucht habe: eine thing-power, eine Lebendigkeit, die allen Dingen innewohnt. Auf den ersten Blick klingt das beinahe esoterisch, mutet für ein judäo-christlich geprägtes Kultur- und Geistverständnis viel zu paganistisch an. Im Hintergrund läuft jetzt immer wieder Pagan-Folk-Musik, und meine neue politische Mission passt in die besungene Gottheiten-Natur, ein pantheistisches Weltbild. Bennetts Worte erscheinen hier vermittelnd – zwischen den großen und den kleinen, alltäglichen Dingen: „There is a sort of lyrical shuttling in her language – she shuttles among the terms matter, life, the world, and the everyday – that lends resonance to her search for a deepened experience of things (Baker 8). Dabei arbeitet Bennett durchaus narrativ-anekdotisch und integriert die Dinge auf diese Weise in ihr Schreiben, gibt ihnen eine Stimme (Bennett, Vibrant Matter 4). Die Macht der Dinge wird durch die Erzeugung von Affekten bei Menschen und Nicht-Menschen definiert. Bennett nennt hier auch das rechtshistorische Beispiel einer Mordwaffe, die im Gerichtsprozess zum eigentlichen Protagonisten, zum einzigen Maßstab wird, um den Mörder zu finden, bezeichnet es als „the nonhuman actant“ bzw. in diesem Fall sogar als „legal actanct“ (Bennett, Vibrant Matter 9 f.). In dieser Entwicklung der thing-power nutzt Bennett den Latour’schen Begriff des Aktanten, der Handlungsmacht besitzt, aber kein singulärer Agent ist.


Es findet also eine erste Aufwertung der Dinge statt, bei der Bennett aber direkt klarmacht, dass diese Aufwertung keineswegs mit einer Abwertung des Menschen einhergeht (Bennett, Vibrant Matter 12). Muss die Macht der Dinge sich aber immer auf den Menschen zurückbeziehen, um valide, sinnvoll für uns zu sein oder verstanden zu werden? Muss sie überhaupt sinnvoll für uns sein? Ich stelle alles in Frage, will noch weiter gehen, mich ganz aus meinem Menschsein lösen, um die Dinge sprechen zu lassen. Geht das? „[P]erhaps the very idea of thing-power or vibrant matter claims too much: to know more than it is possible to know“ (Bennett, Vibrant Matter 13). Wieder eine Betonung der Radikalität ihrer Theorie, und irgendwie klingt es auf diese Weise wieder mythisch, esoterisch, betörend, bezaubernd – wobei sich Bennett sogar für ein enchantment und eine Remysthifizierung einsetzt (Bennett, Vibrant Matter xiv). Das Mysterium lässt sich nicht auflösen, und auch das sickert langsam in meinen pflanzengetränkten Raum, in dem ich auf einmal nicht mehr alleine bin. „An actant never really acts alone“ (Bennett Vibrant Matter 21).


Die Dinge sind unweigerlich miteinander vernetzt, sind eben keine singulären Agenten, sondern handeln viel eher in einer Assemblage – ein Begriff, den Bennett nun Deleuze und Guattari entwendet: „bodies enhance their power in or as a heterogeneous assemblage“. (Bennett, Vibrant Matter 23). Assemblage, das ist eine zusammengefügte Masse aus verschiedenen Elementen, die nur zusammen aktiv werden können und in dieser Form handeln – allerdings nicht so organisiert, dass man sie bereits als Organ(ismus) verstehen könnte. An dieser Stelle wird das Buch in meinen Händen selbst zu einer solchen Zusammensetzung – gemeinsam mit der Luft, die ich atme, mit den Fingern, die über die Seite aus Holzfasern, Tinte und anderen Elementen streichen (Bennett, Vibrant Matter 23). Die ganze Welt wird zur Assemblage. Eine Verknüpfung von allem ohne Singularität; die Agency teilt sich auf unter den Elementen, die bis auf die kleinste Ebene hinunterreichen. Auch meine tippende Hand in diesem Moment ist eine Assemblage aus Hautgewebe, Muskeln, Knochen, Knochenmark und Blutkörperchen. Alles wirkt in Wellen zusammen und aus einem Handelnden wird ein Handeln, das sich universell ausbreitet. Ein schöner Gedanke, versöhnlich; fast eine Verwandtschaft, die über die ganze Welt reicht.


In der von Bennett beschriebenen Verschmelzung von Ursache und Wirkung (Bennett, Vibrant Matter 33) stellt sich nun die Frage nach dem Ursprung – vielleicht auch in einer Nichtexistenz des Ursprungs im Derrida’schen Sinne (Derrida), insbesondere wenn man an das dezentralisierte, kollektivierte System von Welt denkt, das hier entworfen wird (auf diese Weise wird auch deutlich, dass Bennett tatsächlich mit dem Poststrukturalismus arbeitet. Sie distanziert sich allerdings von einer Reduktion der Dinge auf ihre Zeichen und Bezeichnungen, die den Fokus dann wieder zu sehr auf die menschliche Betrachtung der Dinge zurückführen würde – Bennett, Vibrant Matter 5).


Ein cause oder – im Sinne von Hannah Arendt – origin führen dabei allerdings immer wieder auf eine agency zurück, bei der oft noch immer der Mensch als Handlungsträger verstanden wird (Bennett, Vibrant Matter 33 f.). Wenn die ganze Welt aber vibrierende Assemblage ist, kann es dann noch einen Ursprung geben? In der Assemblage gibt es auch kein Zentrum mehr – sehr wohl aber Zerstörung – eine weitere Verbindung zur Dekonstruktion. Insgesamt nimmt die Gefahr und zerstörerische Kraft der thing-power allerdings keinen besonders großen Stellenwert in der Studie ein, wie auch manche Rezensenten kritisieren (Lemke 40). Dennoch definiert Bennett mit Deleuze/Guattari ein Leben auch über eine „destructive-creative force-presence“ (Bennett, Vibrant Matter 54). Es geht um Energie, um das Schöpferische, aber auch Zerstörerische – wie sie im Beispiel eines flächendeckenden Stromausfalls im Jahr 2003 in Nordamerika erläutert (Bennett, Vibrant Matter 24 ff.) .


Beim Lesen/Graben dunkelt es und immer öfter wird es unheimlich, denn die Dinge scheinen auf einmal beseelt zu werden, mich zu beobachten, mich zu belagern. Ich summe eines der Pagan-Folk-Lieder vor mich hin, werde wieder zum Kind in der Dunkelheit, um die Monster unter meinem Bett zu vertreiben (die eigentlich nur Staub-Assemblage ohne zerstörerische Kraft sind). Ich denke auch wieder an Deleuze/Guattari, das Ritornell-Kapitel. „Im Einklang mit seinem Lied geht es [das Kind, A.T.] weiter oder bleibt stehen“ (Deleuze/Guattari424). Ich entscheide mich dafür, weiterzugehen – und frage, wie Jane Bennett: Was ist eigentlich lebendig? „All forces and flows (materialities) are or can become lively, affective, and signaling“ (Bennett, Vibrant Matter 117) – eine Sicht, die sich auch über die organische Natur hinaus erstreckt. Auch Mineralien, Metalle werden zu lebendigen Entitäten (Kapitel 4: „A Life of Metal“) und dennoch lehnt Bennett eine animistische Beseelung der Dinge ab, einen reinen vitalism. Denn das Leben ist unweigerlich mit einer Körperlichkeit verbunden, mit dem Material. Die Perspektive der Vitalisten ist zu schmal, zu eng für den Weg, den Bennett gehen will. Sorgfältig nimmt Bennett die Entwicklungen des Vitalismus auseinander, zerbröselt ihn wie Brot und sucht sich die Krumen heraus, die nützlich werden – beispielsweise die entelechy von Driesch (Bennett, Vibrant Matter 69–76). An einigen Stellen wird sie dabei klar wertend, stellt sich eindeutig auf eine Seite oder eben nicht – wird klar und bestimmend („Here I side with Driesch.“, Bennett, Vibrant Matter 76). Doch auch eine reine Maschinerie der Welt lehnt sie ab – denn das spräche gegen die mit Driesch im Einklang formulierte lebendige Energie, die sich über das Mechanische hinwegsetzt (Bennett, Vibrant Matter 73). Wählt Bennett den dialektischen Mittelweg, löst die Grenze auf, will beides und doch keins von beidem? Bennetts Materialismus will keiner von „Hegel-Marx-Adorno“ sein, bildet eher Verwandtschaft mit „Democritus-Epicurus-Spinoza-Diderot-Deleuze“ (Bennett, Vibrant Matter xiii).


Was im ganzen Buch auffällt, sind diese Namen. Eine enorme, beeindruckende Menge an Theorie, die sich selbst wie ein Berg an Dingen als Assemblage auftürmt und in Aktivität tritt. Ich sehe vor dem inneren Auge Stapel an Büchern auf meinem Schreibtisch. Auf Bennetts Schreibtisch. Nein, eigentlich scheinen es Namen zu sein, die sich Bindestrich nach Bindestrich aufeinanderschichten, Buchstaben, die sich in ihrer theoretischen Eigenschaft, in ihrer Zeichenhaftigkeit wieder vom Materiellen lösen. Werden auch Theorien lebendig? Bennett nutzt die großen Theorien für ihre eigene Theorie, das merke ich. Und ich suche fast vergebens nach den weiblichen Namen im Literaturverzeichnis, werde wenig fündig unter dem Berg, die Bibliographie erzeugt einen Affekt in mir. Bennett wird in der Rezeption in verschiedensten Fachrichtungen oft dem sogenannten New Materialism zugeordnet (Baker; Peters), der eindeutig in einer feministischen Tradition steht. Der Fokus auf Körperlichkeit, den Bennett entwirft, legt das ebenfalls nahe. Ihre Theorie, die sich an nichtmenschliche Entitäten richtet, öffnet sich, so Bennett, auch einer feministischen Lesart (Bennett/Watson 154) und irgendwie erscheint auch mir die Aufwertung von nichtmenschlichen Entitäten eng verknüpft mit dem Kampf für die Gleichberechtigung unter Menschen.


In romantischer Verklärung beginne ich, Gedichte für die Dinge zu schreiben, die nicht sprechen können. In politischem Interesse für ihre Repräsentation selbstverständlich. Bennett sucht auch das am Ende von Vibrant Matter – eine Form der Partizipation für die Dinge. Eine Kommunikation zwischen nichtmenschlicher Entität und Mensch, ein Verständnis, ist das überhaupt möglich? Baptiste Morizot setzt sich in seinem Buch Manières d’être vivant mit eben dieser Frage auseinander, tritt dort mit den Wölfen in den Dialog – und spricht sich gegen eine Anthropomorphisierung aus. Auch ich ärgere mich gerne über die Vermenschlichung, will ich doch weg vom Anthropozentrismus – wie Bennett, dachte ich. Als es Winter wird in meinem Erdentunnel, lese ich, wie Bennett die begrenzte Vermenschlichung verteidigt, für das bessere Verständnis von Dingen in unseren unweigerlich menschlichen Köpfen – so sehr sie auch selbst Assemblage sind: „If a green materialism requires of us a more refined sensitivity to the outside-that-is-inside-too, then maybe a bit of anthropomorphizing will prove valuable “ (Bennett, Vibrant Matter 120). Genügt das? Wo bleibt hier die Radikalität? Was ich in der Beschwichtigung lese – im „The political goal of a vital materialism is not the perfect equality of actants, but a polity with more channels of communication between members.“ (Bennett, Vibrant Matter 104) – ist ein Entgegenkommen. Ein Entgegenkommen in Richtung des bestehenden Verständnisses von Natur als Umwelt.


In politischer Aktion wird es diese empathische Form von Repräsentation vielleicht eher weiterbringen als die Forderung nach materiellen Repräsentanten von Dingen in Parlamenten. Das eigentliche Ziel scheint eine gesteigerte Sensibilität zu sein, für die Dinge als Zusammensetzungen von Leben auch auf politischer Ebene. Vielleicht bedeutet diese Sensibilität das eigentliche Entfernen vom Anthropozentrismus. Der Mensch kann sich nicht entfernen, ist in seiner Menschlichkeit vertrackt und zugleich selbst Teil der Materialitäten, die eine Stimme brauchen. Vielleicht geht es darum, in einer Welt der Vielheiten aufzugehen, in dem, was Außen und Innen zugleich ist, manchmal passiv, manchmal aktiv. Die Prekarität der Erde verlangt beides. Und wird zur Verantwortung, denn: „If environmentalists are selves who live on earth, vital materialists are selves who live as earth“ (Bennett, Vibrant Matter 111). Bevor ich den Weg zurück antrete, werde ich in meinem Tunnel selbst zur Erde.


unter dem berg

dinglich werden
hinausziehen und hineinsetzen
folien durchsichtig faserig
ge
lichtet von außeninnern wabern
fasern
es vereist unter der kronfläche
er
starrt. zur wintersonne gerecken
blattstrecken
vom ei
nen zum anderen und wandeln wachs
en verlust los
lassen fallen
wesen von würmen zerfasert
werden untergehen
streuen aufnehmen werden
innerhalb gedrängen getasten unterstrahlen
einwinden wandern streu
en kratzeln schreitelt
wässrig dann
fließen
untererdig

(von Anna Thommes)

Zitierte Literatur

  • Baker, Andrew. „On the Matter of Enchantment.“ Agricultural History 96.1/2., 2022, S. 262-266.
  • Baker, Robert. „Is There a Place for Spirit in Jane Bennett’s Vital Materialism?“ Cultural Critique, 111, 2021, S. 1-25.
  • Bennett, Jane. Vibrant Matter: A Political Ecology of Things, Duke University Press, 2010.
  • Bennett, Jane. „Powers of the Hoard: Further Notes On Material Agency“, Animal, Vegetable, Mineral, Ethics and Objects, Punctum Books, 2012, S. 237-272.
  • Derrida, Jacques. Die Schrift und die Differenz, Suhrkamp, 2000.
  • Dobson, Andrew. „Review Vibrant Matter: A Political Ecology of Things by Jane Bennett“, Environmental Values, 20.3, 2011, S. 439-441.
  • Khan, Gulshan und Jane Bennett. „Agency, Nature and Emergent Properties: An Interview with Jane Bennett“, Contemporary Political Theory 8.1, 2009, S. 90-105.
  • Lemke, Thomas. „An Alternative Model of Politics? Prospects and Problems of Jane Bennett’s Vital Materialism“, Theory Culture Society 35,6, 2018, S. 31-54.
  • Peters, Christian Helge. „(Neu-)Politisierungen in feministischen New Materialisms: Elizabeth Grosz, Jane Bennett und Rosi Braidotti“, Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien, 24.1, S. 15-30.
  • Watson, Janell und Jane Bennett. „Eco-Sensibilities. An Interview with Jane Bennett“, Minnesota Review 81, 2013, S. 147-158.

Weiterführende Literatur

  • Bennett, Jane. Unthinking Faith and Enlightenment: Nature and the State in a Post-Hegelian Era, New York University Press, 1987.
  • Bennett, Jane. Influx and Efflux: Writing up with Walt Whitman, Duke University Press, 2020.
  • Deleuze, Gilles und Félix Guattari. Milles Plateaux, Les Éditions de Minuit, 1980.
  • Haraway, Donna. Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene, Duke University Press, 2016.
  • Latour, Bruno. Das Parlament der Dinge: Für eine politische Ökologie. Suhrkamp, 2009.
  • Lowenhaupt-Tsing, Anna. The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins, Princeton University Press, 2015.
  • Morizot, Baptiste. Manières d’être vivant: enquêtes sur la vie à travers nous, Actes Sud, 2020.

Empfohlene Zitierweise

Anna Thommes: [Art.] Jane Bennett. In: Online-Enzyklopädie der Frauen in der Theoriegeschichte. Hrsg. von Marília Jöhnk. URL: https://theoriespuren.de/artikel/jane-bennett/ [Datum des letzten Abrufes].